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Zwetschen nach Bier
 

Mitte 1962 wurden unter uns Lehrlingen für gute Leistungen drei FDGB-Urlaubsreisen an die Ostsee verteilt. Ich war nicht dabei, wäre aber der nächste auf der Liste gewesen, der noch eine bekommen hätte, meinte mein Lehrmeister Lieber. Anfang August kam einer dieser Geehrten, Helmut H. nach Untermaßfeld in den Knast. Er hatte einen Volkspolizisten in Immelborn auf dem Tanzsaal verdroschen. So war noch ein Platz frei und ich rückte nach. 

In der ersten Septemberwoche fuhren wir zu dritt nach Kühlungsborn und ich sah nach vielen Jahren die Ostsee wieder. In meiner Schulzeit, in der dritten Klasse, war ich das erste Mal an der Ostsee gewesen, in einem katholischem Kinderheim in Zinnowitz. Frühstück, beten, Mittagessen, beten, Abendessen, beten. Dazwischen eine halbe Stunde Ostseebaden, mehr ein plätschern in einem Holzgestell wie einem Schafstall und behütet von schwarz gewandeten Nonnen, die Angst hatten, daß wir Kinder in der Ostsee ersaufen könnten. Sie beschäftigten uns am Strand mit Marmeladenbroten, Sandburgenbauen und frommen Geschichten.

Ich war gespannt darauf, was mir diesmal die Ostsee für Erlebnisse bescheren würde. 
Meine Kumpels aus der Lehre, Kubilek und Zimmermann, gingen am ersten Abend in die Kneipe "Nasser Sack" und schütteten sich, zum ersten Mal als Jugendliche unbehütet fern von zu Haus, Rostocker Bier in die Bäuche bis zum Abwinken. 
Ich dagegen saß mit sogenannten Gammlern am Abend am Strand und hörte Gitarrenklängen zu und beschäftigte mich mit den dort anwesenden Mädchen, die in der Überzahl waren, so daß nach dem Gitarrenspielen eine für mich übrig blieb. 

Es war eine romantische warme Septembernacht und Bier gab es nicht am Strand in jener Zeit. Auch hatte man mit seinen Händen besseres zu tun, als Bierflaschen festzuhalten. Gegen drei Uhr in der Nacht stand ich wieder vor meinem Urlaubsquartier, wo im Garten davor, unter einer Laterne ein Wäschekorb mit reifen Zwetschen stand. Um den Korb herum lagen überall verstreut ausgespuckte Zwetschenkerne. Also aß ich gleichfalls ein paar Zwetschen, um mich dann friedlich und zufrieden in mein Bett zu legen. Meine Kumpels Kubilek und Zimmermann schnarchten schon laut in ihren Betten. 

Am Morgen stand ich relativ früh auf, frühstückte und ging anschließend zum Strand. 
Als ich zurückkehrte, schliefen Kubilek und Zimmermann noch friedlich. Ich begab mich zum Mittagessen in die Kantine des FDGB-Heims, da lag dort ein Zettel auf meinem Platz mit der Aufforderung, mich in der Heimleitung zu melden. In ihrem Zimmer fragte mich die Heimleiterin, ob ich Zwetschen gegessen hätte. Warum hätte ich wegen der paar Zwetschen lügen sollen, und so gab ich gleich zu, fünf bis sechs Zwetschen gegessen zu haben. 
Darauf wurde mir ein Schriftstück in die Hand gedrückt, worin geschrieben stand, daß ich nicht nur in mein gewerkschaftliches Urlauberbett gekotzt, sondern auch meine Notdurft verrichtet hätte. Ein gleichlautender Brief wäre schon an meinem Betrieb unterwegs und mein Urlaub hiermit beendet. 
Ich solle meine Koffer packen und sofort mein Urlaubsquartier verlassen. Ohne mir die geringste Möglichkeit zu einer Erwiderung zu geben, wurde ich sofort von ihr entlassen. Ich habe meine Koffer gepackt, bin zum Strand, um meiner neuen Urlaubsbekanntschaft dieses Drama zu erzählen: Meine Kumpels hatten mir am Vormittag in meiner Abwesenheit vollgeschissenes und versautes Bettzeug untergeschoben. Einen vollgematzten Schlafanzug wuschen sie aus, um ihn danach an einer Wäscheleine auf dem Balkon aufzuhängen. 
Der Schlafanzug erwies sich dann als meine Rettung. Das Mädchen meinte, ich sollte noch einmal zur Heimleitung gehen, meinen Schlafanzug vorzeigen und darauf hinweisen, das höchstwahrscheinlich derjenige, der den trockenen Schlafanzug von der Leine nimmt, der Übeltäter war. Ich hatte meine Agatha Chistie gefunden. 
Das tat ich gleich mit neuem Mut, auch erbost über so viel Hinterhältigkeit meiner Kumpels. Die Heimleiterin überführte anschließend Kubilek nach wenigen Sätzen der Schandtat. In seiner Schlafanzughose hingen noch Kack- und Zwetschenhautreste. Ich war aus dem Schneider und hatte fortan bis zum Ende der Lehrzeit Kubilek als personengebundenen Feind am Hals. Kubilek und Zimmermann mußten beide nach Hause fahren, weil Kubilek noch Zimmermann anschwärzte, indem er ihm den größeren Anteil an der Sauerei in die Taschen schob.

Von beiden bekam ich nach meinem Urlaub eine Tracht Prügel organisiert. Es mußte ja an meinem Betrieb ein weiterer Brief geschrieben werden, der die beiden Scheißkerle wahrheitsgemäß in die Pfanne haute. Sie erzählten aber meinem Meister, daß ich es gewesen wär - die Aussagen waren somit zwei zu eins gegen mich. Für meinen Meister war dies so oder so mehr als peinlich - es hieß ja nun, seine Lehrlinge scheißen in anderer Leute Betten. 

Aber ich hatte nun erst einmal das komplette Zimmer für mich allein, für mich und meine Agathe, wo wir alles mögliche anstellten. Nur das eine nicht: Zwetschen zu essen als Nachtisch zum Bier. Das Bettlaken blieb auf alle Fälle mit Hilfe von Handtüchern jungfräulich, was man von Agathe nicht gerade behaupten konnte. 

Wochen später lernte ich in Breitungen auf der Kirmes durch einen Zufall Kubileks Schwester kennen. Nach der ersten Verabredung war sogleich Schluß. Ihr Bruder machte ihr relativ schnell klar, daß ich nur in ihr Bett scheissen würde und deshalb geraten, von mir die Finger zu lassen. Ich verzichtete daraufhin auf meine Klarstellung, wer hier nun ein Hosenscheißer sei. Denn gegen den massiven Widerstand einer ganzen Familie kann man sowieso wenig ausrichten: Es sind prinzipiell immer die anderen. 
 
 
 
 

© rhebs, 2002
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